Sehen wir einfach die Welt vor lauter Karten nicht mehr?

Klima, 24.03.2016

Buchbesprechung 'Die Macht der Geographie' von Tim Marshall

Kann man die Weltpolitik ganz einfach durch ein paar Landkarten erklären? Sehen wir einfach die Welt vor lauter Karten nicht mehr?

Es ist eine spezielle Sichtweise auf die Dinge zu behaupten, dass das Land die Menschen geformt habe. Genau das ist es aber, was uns Tim Marshall mit seinem Buch „Die Macht der Geographie - Wie sich Weltpolitik anhand von 10 Karten erklären lässt“ zu sagen versucht.

Tim Marshall ist ein anerkannter Experte für Außenpolitik und wurde für seine Berichtserstattungen ausgezeichnet. Das Buch erschien erstmals 2015 in München. Seine Grundaussage in Kurzform:

„Seit jeher hat uns das Land, auf dem wir leben, geformt“.

 

Wenn man die Welt aus Sicht der Kriege und ausschließlich politischen Absichten sieht, ist diese Statement nicht ganz von der Hand zu weisen. Denn sicher: Das Schwarze Meer mit seinem flachen Korridor konnte sehr gut genutzt werden, um nach Russland einzumarschieren und auch die Wüste Gobi stellt im Ernstfall eine natürliche Grenze zwischen China und der Mongolei dar.

Bild: Marcel Lentz

Weitere Anhaltspunkte sind der sogenannte „Ressourcenfluch“ in Afrika, bei dem es in manchen Regionen zu Krieg und Raub durch den großen Rohstoffreichtum kommt; oder gar die Fluchtmöglichkeit auf das offene Meer, wenn man, wie in Großbritannien, an der Küste lebt.

Doch es bleibt die Frage: Woher kommt der Anspruch des Menschen, sich zu bekriegen und zu kämpfen? Die Umweltbedingungen allein können jedenfalls nicht dazu führen.

Dass Deutschland im Jahr 1907 Frankreich angriff, stand einzig und allein mit der Angst der Deutschen in Zusammenhang, Russland, Großbritannien und Frankreich könnten sich gegen sie verbünden. Natürlich war die geographische Lage ausschlaggebend - aber erst die Menschen machten ein Problem daraus, indem sie aus Angst handelten.

Die Menschen besitzen ein Sicherheitsbedürfnis, durch das sie sich abgrenzen möchten. Sie nutzen die Natur als Grenzen für Kriege und verteidigen so ihr „Territorium“. Auch in Europa und speziell in Deutschland kommt es durch die gute Lage zu fundamentalen Absatzmöglichkeiten. Dennoch ist die Industrialisierung nicht nur eine Folge der geographischen Lage und des guten Rohstoffreichtums sondern auch eine von Ideenreichtum und nicht zuletzt einer guten Wirtschaftsweise der Menschen.

Wenn man sich dicht besiedelte Gebiete anschaut, kann man die Entstehung der Siedlungen an diesen Orten als Folge von fruchtbaren Böden sehen. Beispielsweise liegen chinesische Ballungszentren meist auf besonders ertragreichen Böden und in der USA kam es an den Plätzen zu einer Ansiedlung der Bevölkerung, an denen natürliche Häfen existierten.

Dennoch wurde beispielsweise Texas nicht durch seine geographische Lage unabhängig - sondern durch Waffen, Geld und Ideen. Man erkennt: Es ist und bleibt ein Wechselspiel zwischen Natur und Mensch.

Gut miteinander verbundene Flüsse in Europa machen es den Menschen leicht, Transportwege gut nutzen zu können, doch eine gute Organisation ist nicht wegzudenken.

Überhaupt die Idee des exportorientierten Absatzes und somit guten Einnahmequellen der Menschen, macht die Flüsse erst zu wertvollen Wasserwegen.

Bild: Marcel Lentz

Auch wir Menschen formen diese Welt mit unseren Normen und Werten: In China steht die Gemeinschaft über dem Individuum, in Europa scheinen die Rechte des Einzelnen noch Gewicht zu haben. Bloßer Zufall? Oder nehmen wir das eindrückliche Beispiel der Arktis: Das Eis geht mittlerweile in einer solchen Geschwindigkeit zurück, dass Tierarten gefährdet sind. Dies ist nicht nur eine Folge der natürlichen Klimazyklen, sondern, davon sind  viele Wissenschaft überzeugt, eine Tat des Menschen.

Auch weitere Überlegungen sind nicht ungeachtet menschlicher Einflüsse zu sehen: Ausschlüsse von Staaten, Ländern und Menschen. Afrika ist hier ein sehr anschauliches Beispiel. Die Sklaverei in Afrika erstreckte sich vom 12. Jahrhundert bis in 1960er-Jahre hinein. Einige behaupten, dass sie auch danach nie vollständig abgeklungen sei. Die westliche Welt steht weiterhin im Mittelpunkt, der Flugverkehr ist da nur eines von vielen Beispielen. Afrika hat Schwierigkeiten nachzuziehen und mit der voranschreitenden Globalisierung mitzuhalten. Durch Hilfsprojekte und Menschlichkeit haben Menschen aus aller Welt gezeigt, wie man im Einklang miteinander leben kann und wie wichtig das Zusammenhalten der Menschen untereinander ist.

Der Nahe Osten oder Indien und Pakistan werden weiterhin durch Feindschaften und Machtausübung geprägt und und dies nicht zuletzt wegen des Egoismus des Menschen und des Verlustes von Mitgefühl und Zusammenhalt.

Die schlechte wirtschaftliche und soziale Lage geht nicht zuletzt auf Unmenschlichkeit und der immer weiter auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich zurück. Sie ist eine Folge aus schlechter geographischer Lage und des Umgangs der Menschen damit. Es ist vielleicht ein bisschen so, als würde man sich der Verantwortlichkeit entziehen, wenn man die Welt ausschließlich aus Karten erklären möchte.

Somit muss man menschliche Gefühle, Normen, Werte und Kulturen bei der Analyse der Weltpolitik ebenso viel Bedeutung beimessen wie der Umwelt selbst. Der starre Blick auf die Lage eines Staates ist somit nicht einzig und allein ausschlaggebend für die vorherrschenden Bedingungen heute. Die Erde lebt mit uns und wir leben auf dieser Erde.

Die Umwelt und der Mensch können nicht einzeln betrachtet werden: Sie bedingen sich gegenseitig.

Obwohl die hier aufgeführten Punkte nicht viel mit dem Wissenschaftsfach Geographie gemein haben, weiß Tim Marshall Politikwissenschaften zu verstehen und zu beschreiben.

Wer sich also für Außenpolitik und vordergründig für die politische Sicht der Dinge interessiert, macht mit dem Lesen dieses Buches keinen Fehler. Seine Schlüsse beziehen sich leider hauptsächlich auf politische Absichten, aber das war bei einem Experten für Außenpolitik vielleicht auch zu erwarten. Der Mensch mit seinen Eigenschaften als dynamischer Faktor zur Formung unserer Welt fehlt hier leider dennoch.

"Die Macht der Geographie" von Tim Marshall

Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
dtv Verlagsgesellschaft (20. November 2015)

ISBN-13: 978-3423280686

22,90 Euro

  Sarah Bertram
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